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Wahlrecht für den Bundestag verfassungswidrig. Was nun?

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  1. Autor dieses Themas

    wpl

    wpl hat kostenlosen Webspace.

    Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass u.a. dadurch, dass ein "negatives Stimmgewicht" beim Wahlergbnis auftauchen kann, das Wahlrecht für den Bundestag verfassungswidrig ist.

    das Urteil selbst kann man übrigens auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts auf http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/fs20120725_2bvf000311.html nachlesen.

    Duie beiden Leitsätze lauten wie folgt:

    1.Die Bildung der Ländersitzkontingente nach der Wählerzahl gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG ermöglicht den Effekt des negativen Stimmgewichts und verletzt deshalb die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien.

    2.a) In dem vom Gesetzgeber geschaffenen System der mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl sind Überhangmandate (§ 6 Abs. 5 BWG) nur in einem Umfang hinnehmbar, der den Grundcharakter der Wahl als einer Verhältniswahl nicht aufhebt.
    b) Die Grundsätze der Gleichheit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien sind bei einem Anfall von Überhangmandaten im Umfang von mehr als etwa einer halben Fraktionsstärke verletzt.


    Interessant an diesem Urteil ist, dass das Gericht nicht Überhangmandate generell ausschließen will, sondern nur die Anzahl unbedingt begrenzt haben will. (Allerdings vermute ich: wenn es keine Überhangmandate gibt, gibt es auch das Problem des negativen Stimmgewichts nicht mehr, ich kann dies aber nicht mathematisch exakt beweisen)


    Ich wage einmal zu behaupten, dass im Grunde aufgrund der Änderung des Parteiensystems es sehr schwierig sein dürfte, innerhalb des bestehenden Zuteilungssystems überhaupt einen befriedigenden Reformansatz zu finden.

    Im Prinzip geht das System nämlich so:

    - Die Hälfte der Sitze geht an die siegreichen Wahlkreiskandidaten
    - Die andere Hälfte geht an Listenkandidaten, allerdings, um den Gesamtproporz bezüglich der Bundesländer zu wahren, an Kandidaten der Landeslisten. Hierbei werden für jede Partei die Anzahl der Landeslistensitze errechnet, die ihr zustehen. Die Anzahl der in diesem Bundesland gewonnenen Wahlkreise werden abgezogen, sodass sich die Anzahl der Landeslistensitze entsprechend verringert, im Extremfall auf 0.

    Und hier geht das Problem los: gewinnt eine Partei mehr Wahlreissitze, als ihr Landeslistensitze zustehen, so ergibt sich ein sogenanntes Überhangmandat, das die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag entsprechend verzerrt. Früher war dieser Effekt zu vernachlässigen, weil es eben nur zwei große Parteien und eine kleine Partei gab. Heute gibt es aber etwa 5-6 Parteien, die Bundestagsmandate erringen, und da die beiden großen Parteien stimmenmäßig nicht mehr eine ganze Größenordnung über den kleineren Parteien rangieren, erhöht sich so die Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten.

    Aber wie könnte man hier wirklich effizient etwas ändern?

    Ich wüsste da mehrere Varianten, die aber alle ihre Nachteile haben:

    1. Für Überhangmandate wird ein Ausgleichsverfahren eingeführt. So würden die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag zwar letztlich getreu abgebildet (auch das Problem des negativen Stimmgewichts würde sich meines Wissens nicht mehr ergeben). Aber das Parlament könnte durch eine solche Regelung erheblich aufgebläht werden - und das kommt den Steuerzahler teuer.

    2. es wird für Überhangmandate ein "negatives Ausgleichsverfahren" eingeführt. Dieses Verfahren bestünde darin, dass eine Partei, die in einem Bundesland "zu viele Direktmandate" gewonnen hat, nach einem noch zu schaffenden mathematischen Verfahren in einem oder mehreren anderen Bundesländern entsprechend weniger Landeslistensitze erhält, als sie eigentlich errungen hätte. Sollten sich trotzdem noch Überhangmandate ergeben, (wenn diese Partei insgesamt auf Bundesebene mehr Direktmandate gewonnen hat, als ihr Sitze zustehen, müsste dieser Rest dann nach einem Ausgleichsverfahren wie in 1. geregelt werden.
    Vorteil einer solchen Regelung ist eine wesentlich geringere "Aufschwemmung" des Bundestags, aber der regionale Proporz (auf den ja die Gesetzgeber aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland auch zu Recht geachtet haben), wäre dann möglicherweise in sehr starkem Ausmaße nicht mehr gegeben.

    3. statt Landeslisten der Parteien werden Bundeslisten aufgestellt. Vor- und Nachteile wie bei 2.

    4. Direktmandate werden abgeschafft, und es gibt nur noch Landeslisten. Vorteil: es gibt garantiert keine Überhangmandate mehr, allerdings erkauft man sich dies daraus, dass die Personalisierung des Wahlrechts gänzlich wegfällt.

    5. es wird auf Bundesebene ein konzeptionell ähnliches wahlrecht wie im Bundesland Hamburg eingeführt (mit Bundesländern o.ä. als Mehrpersonenwahlkreise). Ein solches wahlrecht zu entwickeln, dürfte allerdings sehr kompliziert werden - auch das Wahlrecht wäre mit Sicherheit sehr komplex - und ein zu komplexes Wahlrecht halte ich auch nicht gerade für vorteilhaft.

    soweit stichwortartig, was mir so eingefallen ist.

    Allerdings frage ich mich, warum man auf eine derart vertrackte und komplizierte Materie nicht einmal ein Wissenschaftlerteam ansetzt, das ein Wahlrecht erarbeitet. Im Schweizer Kanton Zürich is man genau so vorgegangen - das Wahlrecht wurde im wesentlichen vom Mathematiker Friedrich Pukelsheim entwickelt, und man ist mit diesem, soweit ich weiß, sehr zufrieden.

    Warum sollte dies hierzulande nicht auch einmal gemacht werden?
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  3. Ich denke das die einfachste Lösung eine direkte Demokratie wäre. Also so das über Gesetze direkt durch jeden einzelnen Bundesbürger abgestimmt würde. Die EDV-Grundlagen,welche sich in der Softwaretechnik eGoverment nennen, existieren bereits und durch den "neuen" elektronischen Personalausweis würde dieses Verfahren relativ sicher sein. Die Parteien müssten entweder ganz aus der Politik zurücktreten oder aber als Gesetzesersteller,Überzeuger und Lehrer fungieren.

    Die Vorteile wären das wir kein Bundestag mehr brauchen, die Gesetze werden von den Intressenten abgestimmt und erstellt, Lobbyismus würde nur noch durch Überzeugungsarbeit der jeweiligen Firmen möglich sein.

    Ich persönlich denke dass man die Politik in naher Zukunft so gestalten wird und das andere Länder als Vorbilder agieren werden. Außerdem finde ich dass ich als Intressent bzw. Beinträchtigter der Politik somit eine höhere Chance habe meine Meinung zu vertreten.
    Natürlich müsste man die Position des Grundgesetztes verstärken, da es durch soziale Netzwerke zu verfassung-/grundgesetzwidrichen Gesetzen kommen könnte.(Beispiel: Einführung der Todesstrafe für sexual Straftäter).

    Ich bin gespannt was ihr anderen zu diesem Thema zu sagen habt :)
  4. Von einer direkten Demokratie halte ich eher weniger:
    Es hat einen guten Grund, dass die Politiker ihre Ämter nicht halbtags ausüben...
    Wenn jetzt aber jeder Bürger neben seinem individuellen Beruf auch noch Gesetze entwerfen soll, kann dabei auch nichts gescheites entstehen.

    Deshalb denke ich nicht, dass die erwähnte direkte Demokratie wirklich eine Alternative zum jetzigen Politik-System ist.
  5. t******s

    Meiner Ansicht nach sollten die Überhangmandate ganz wegfallen. Wer diese Mandate will muss dann eben mit einem eventuell sehr großem Parlament leben. Die Beschränkung der Überhangmandate auf etwa 15, wie es die Verfassungsrichter vorschlagen, halte ich auch wieder für zu undurchsichtig. Der Wähler soll doch bei der Stimmabgabe wissen wo und wie seine Stimme zählt.

    Eine "direkte Demokratie" halte ich schlichtweg für Unsinn. Ich bin zwar dafür dass Bürgerabstimmungen, in speziellen Entscheiden und sinnvollen Rahmen, durchgeführt werden können. Aber Politik über Software, oder ein Wegfall des Bundestages halte ich doch für etwas zu abenteuerlich.
  6. tobiworlds schrieb:
    Es hat einen guten Grund, dass die Politiker ihre Ämter nicht halbtags ausüben...
    Wenn jetzt aber jeder Bürger neben seinem individuellen Beruf auch noch Gesetze entwerfen soll, kann dabei auch nichts gescheites entstehen.

    Wäre es nicht so dass die, die sich interessieren bzw. etwas verändern wollen, sich damit beschäftigen würden sodass ähnliche Strukturen wie Parteien entstehen. Heutzutage verschenken die meisten Leute ihre Stimme an Bekannte und Freunde, im Sinne von:" Der wählt das auch!" oder "Meine Eltern wählen die seit 1980 also wähle ich jetzt auch CDU!". Deswegen behaupte ich einfach das Personen in politischen Ämtern die indirekt gewählt worden sind keine berechtigte Vertretung der Interessenten darstellen.

  7. batleth schrieb:Ich einfach das Personen in politischen Ämtern die indirekt gewählt worden sind keine berechtigte Vertretung der Interessenten darstellen.
    Und genau das sollen sie auch nicht sein. Ist der Gedanke nicht fabelhaft, dass wir ein Abgeordnetenhaus haben, in dem wir nicht selbst die Verantwortung übernehmen müssen, aber dafür sehr wohl bestimmen, wohin die Reise geht?
    Man stelle sich vor wir würden die politische Entscheidungsebene als vollständig vom Volk legalisiert ansehen. Irrt sich dann einmal die Menge und stellt ein Gesetz auf, dann ist dieses auf sehr lange Zeit durch die bloße Majorität garantiert. Irrt sich jedoch ein Abgeordneter, dann ist das Volk weiterhin in der Lage, ein beschlossenes Gesetz auch wieder ausuhebeln, denn ein Abgeordneter handelt eben nicht vollständig im Sinne des Volkes.
    Direkte Demokratie kann nur in winzigen Gemeinschaften funktionieren (und da mag sie auch ganz gut sein), aber in einem pluralistischem Staat wie Deutschland brauchen wir eine gewisse Garantie, dass nicht sofort alle Gesetzesbeschlusse legalisiert sind.
  8. Autor dieses Themas

    wpl

    wpl hat kostenlosen Webspace.

    Kleine Ergänzung zu meiner Eröffnung des Theads, in dem ich u.a. den Professor Friedrich Pukelsheim erwähnt habe.

    Nun hat jener tatsächlich Vorschläge gemacht, wie bei den Bundestagswahlen künftig besser gestaltet werden kann.
    Quelle: http://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-18-09-2012-juristentag-diskussion-ueber-filmverbot-koenigshaus-gegen-nacktbilder/ (dort etwas herunterscrollen):

    Wahlrechtsreformer: Die SZ (Robert Rossmann) porträtiert den Augsburger Professor Friedrich Pukelsheim und seinen Vorschlag für ein neues Bundestagswahlrecht, das den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen und sowohl Überhangs- als auch Ausgleichsmandate vermeiden soll.


    Leider ist der entsprechende Beitrag der Süddeutschen Zeitung (dort ein wenig herunterscrollen) nicht allgemein zugreifbar - sehr ärgerlich!

    Allerdings gibt es auf der Homepage des Deutschen Bundestags ein Dokument "Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung am 5. September 2011 zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des BWahlG der Fraktionen CDU/CSU und FDP, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN" - vielleicht finde ich da ja Näheres.
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